Yoga-Meditation - eine Einführung
Der Mensch als Tempel
Im Verständnis der tantrisch geprägten Yoga-Strömungen ist die gesamte menschliche Persönlichkeit - Körper, Gefühlsleben und Denken - ein Tempel des Göttlichen, ein Wohnort der freien, unbegrenzten und immer vollständigen transzendenten Seinsnatur. Egobezogene Wünsche, Abneigungen, Widerstände und Vorstellungen von richtig und falsch sowie das darauf beruhende Handeln gestalten diesen Tempel zu einem Ort dualistischer Gegensätze und Konflikte.
Meditation ist das Bemühen, seine Persönlichkeit wieder zu einem Tempel der innewohnenden 'Göttlichkeit', seiner klaren inneren Seinsnatur zu gestalten - zu einem Instrument, durch das die innere Vollständigkeit und Klarheit wieder ungehindert zum Ausdruck kommen kann.
Yoga ist Meditation
Die großen Lehrer aus der Yoga-Tradition bezeichnen Yoga in all seinen Aspekten als Meditation. Sie sagen Yoga ist Meditation. Gleichgültig, ob man Asanas praktiziert, ob man mit dem Atem oder rein geistig übt - es ist immer eine Praxis des achtsamen Erlebens, des vertiefenden Erforschens und der achtsamen Arbeit an einer heilsamen inneren Veränderung.
In der Praxis werden zuerst Achtsamkeit und Bewusstheit auf der physischen Ebene entwickelt. In der praktischen Umsetzung bedeutet das z.B. Asana-Praxis nach dem Grundprinzip prayatna-shaithilya (das Prinzip des Lösens der Anstrengung - siehe Yoga-sutras II.47).
Im weiteren Verlauf wird das Gewahrsein schrittweise aus dem physischen in die feineren Bereiche geführt - im Prozess von Pratyahara (der innere Rückzug aus der sinnlichen Erfahrungsebene).
Begriff 'Geist'
Der Begriff 'Geist' (englisch: mind) kennzeichnet hier das subtile Instrument der Erkenntnis - das, was uns befähigt, wahrzunehmen, zu denken, zu planen, zu handeln. Dieses geistige Instrument kann sich in verschiedenen Zuständen befinden: zerstreut (kshiptam), träge (mudham), motiviert und mehr gesammelt (vikshiptam), vollständig gesammelt (ekagram) oder in völliger Ruhe (nirodham). Seinen Geist aus den Zuständen der Zerstreutheit bzw. Trägheit in eine zunehmend tiefere Sammlung bis hin zu völliger Stille zu überführen, ist ein zentrales Anliegen der Meditationsschulung im Yoga.
Die vollständige innere Seinsnatur (atman) wird im Deutschen manchmal auch als das 'Geistige' bezeichnet (Substantiv, englisch: spirit) - gemeint ist damit die innerste Wesensnatur, unser spirituelles Sein. Es wird beschrieben als in sich vollkommen, vollständig und außerhalb dualistischer Bezugspunkte - jenseits des geistigen Instruments.
Die Yogatradition beschreibt den menschlichen Geist als ein äußerst machtvolles Instrument, mit einem enormen kreativen Potential. Wie gesagt wird, erschaffen und gestalten wir unsere Erfahrungswelt durch den Geist. Inhalt der Meditations-Praxis ist die Arbeit mit dem Geist als Instrument. Dieses Instrument soll systematisch geschult werden, um so das schöpferische Potential des Geistes bewusst und heilsam zur Entfaltung zu bringen, um so z.B. fähig zu werden, das eigene Leben heilsam zu verändern und auch in der Welt heilsam und konstruktiv zu wirken.
Meditation:
eine Definition (von vielen) - und der Zweck der Meditation
Meditation ist ein geistiges Training - eine Schulung des Instruments des Geistes, um die Qualität und Fähigkeit des Geistes zu verändern. Diese Schulung dient u.a. dazu:
- den Geist zu reinigen -
h. ihn aus der Gewohnheit der Zerstreutheit, Unruhe bzw. Tendenz zur Trägheit herauszuführen und zunehmend von begrenzenden, belastenden Tendenzen freier zu werden
- den Geist zu stabilisieren -
h. eine stetige Ausrichtung der Aufmerksamkeit zu entwickeln - bis hin zu Einpunktigkeit (ekagrata); als bildliches Beispiel hierfür wird manchmal das Licht einer Lampe verwendet, das sich im Raum zerstreut - bündelt man dieses Licht ähnlich einem Laserstrahl, hat das gleiche Licht veränderte Eigenschaften und Wirksamkeit.
Die Ergebnisse dieser Schulung des Geistes sind u.a.:
- zunehmende Entwicklung der Erkenntnisfähigkeit (Einsicht) - man lernt beispielsweise sich selbst auf allen Ebenen menschlichen Daseins besser kennen und verstehen
- die noch unerschlossenen Kapazitäten des Geistes kommen zur Entfaltung - der Geist wird u.a. zu einem Instrument bewusster Lebensgestaltung
- Vollständigkeit und Transzendenz -
die Praxis der Meditation, in individuell angemessenen Schritten entwickelt, kann schließlich die Erfahrung der Vollständigkeit eröffnen, dessen was uns vom innersten Wesen her ausmacht:
wenn man 'über den Geist hinausgeht'.
Meditation als Prozess
In technischem Sinn, als Übung, bedeutet Meditation:
- man nimmt Verbindung auf mit einem ausgewählten Meditationsobjekt - und
- man hält diese Verbindung aufrecht -
man schult den Geist (nicht 'sich') darin, konstant bei einer Sache zu verweilen.
Formell wird das Üben erst dann als Meditation bezeichnet, wenn diese Verbindung kontinuierlich und frei von Anstrengung aufrecht erhalten werden kann -
'Meditation ist das kontinuierliche Fließen der Aufmerksamkeit - frei von Bemühung'.
Die Praxis
Meditation kann nicht 'gemacht' werden. Keine Meditationstechnik kann garantieren, dass wirklich Meditation entsteht. Jede Technik bietet nur eine Übungsstruktur bezogen auf einen spezifischen Inhalt - das Objekt der Praxis, auf das man sich ausrichtet.
Die erstrebte Qualität und Tiefe der Praxis entsteht aus der Entwicklung der Voraussetzungen. Dies bedeutet: ein meditativer Zustand entsteht als Ergebnis richtiger Vorbereitung. Darauf weisen die Lehrer der Tradition mit Nachdruck hin. Man setzt sich nicht einfach nur hin und versucht sich auf einen bestimmten Geistesinhalt auszurichten.
Diese Grundlagen zu schaffen - darin besteht daher unsere Aufgabe.
Unsere Ausgangssituation
Wir alle kennen die undisziplinierte, sprunghafte Seite unseres Geistes sehr gut. Laufend neu aufgenommene Sinneseindrücke und innere Reaktionen darauf sowie die ungeklärten Tendenzen unseres Geistes halten ihn in einem derart 'gestörten' Zustand. Ursache dafür sind tief eingeprägte Denk- und Handlungsgewohnheiten, die Ansammlung der noch ungeklärten belastend und begrenzend wirksamen Gewohnheiten (samskaras), Grundtendenzen (vasanas) und Grundspannungen (kleshas).
Diese drei könnte man scherzhaft auch als die 'Karma-Bande' bezeichnen.
All die ungeklärten Aspekte des Geistes bilden die zentralen Hindernisse für die Entwicklung der Meditation. Sobald man begreift, dass der von diesen Tendenzen getrübte Geist das eigentliche Problem ist, kann man beginnen sich darin zu üben, den Geist zu reinigen und zu schulen.
Konkret arbeitet man an der heilsamen Veränderung der Strukturen (Tendenzen) seines Geistes, der tiefverwurzelten begrenzenden Gewohnheiten in der Wahrnehmung, im Denken und Verhalten. Dieser Prozess der 'Reinigung' des Geistes bildet über lange Strecken das zentrale Übungsfeld auf dem Weg der Meditation.
Die Grundlagen der Meditationspraxis
Wie bereits angedeutet, sollte der Aufbau des Übens in geeigneten Schritten erfolgen. Unabhängig davon, zu welchem Meditationsweg man sich hingezogen fühlt: es gibt allgemeine Grundlagen, die zu erarbeiten sind, damit als Resultat ein Zustand tiefer Meditation entstehen kann.
Hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Übungsfelder:
1) Systematische Entspannung des Körpers und des Geistes
Die Fähigkeit, systematisch zu entspannen - auf immer tieferen Ebenen - bildet den Anfang der Meditationsschulung. Der Verständnishintergrund hierfür ist die Erkenntnis, dass einem angespannten Körper liegt ein angespannter Geist zugrunde liegt. Fehlt diese Grundlage, werden die ungelösten Emotionen (also geistige Spannungen) immer wieder die Herrschaft über den Geist übernehmen.
2) Lösung muskulärer bzw. pranischer Blockaden
Im Yoga sind wir gut vertraut damit, warum korrekte Haltung so wichtig ist. Sthira-sukham asanam, eine stabile und angenehm leichte (Sitz-)Haltung, wird erreicht durch prayatna-shaithilya - das Lösen der Anstrengung.
Das Ziel der körperlichen Übungen ist u.a. die Fähigkeit, in einer bequemen, stabilen Meditationshaltung über eine genügend lange Zeitspanne beschwerdefrei sitzen zu können.
3) Die achtsame Auseinandersetzung mit dem Atem
Hierbei geht es um die Entwicklung des Atemgewahrseins (pranapana-smriti). Atemgewahrsein gilt als essentieller Aspekt für die Entwicklung der Meditationspraxis. Die Tradition weist darauf hin, dass durch Atembeobachtung der Zugang zu tieferen Ebenen seines Bewusstseins möglich wird.
Einige der Aspekte dieses Übens:
- achtsames Erleben und Erforschen seines Atems (Atemgewahrsein allgemein)
- eine entspannte, freie Atemweise entwickeln, gemeint ist hier v.a. eine freie Zwerchfellatmung
- systematische Entwicklung der Atemqualität -
man lernt, den Atemfluss ruhig und gleichmäßig zu gestalten und entwickelt schrittweise die verschiedenen Aspekte meditativer Atemregulation
Resultat dieses Übens ist das unmittelbare, gegenwärtige Erleben - der 'Geist verweilt im Jetzt'.
4) Schulung der Achtsamkeit
Die drei oben angeführten Grundlagen sind bereits Aspekte der Schulung der Achtsamkeit (Sanskrit: smriti-upasthana, Pali: sati-patthana). Es geht um gegenwärtiges, achtsames Erleben, das achtsame Verweilen im Jetzt.
Achtsame Selbstwahrnehmung bildet bereits einen Hauptbestandteil der Asana-Praxis: das sorgfältige Beobachten seiner selbst in allen Zuständen des Körpers, des Atems und - besonders - des Geistes.
Die Details der Achtsamkeitsschulung werden traditionell in persönlicher Instruktion vermittelt.
Später wird die allgemeine Achtsamkeitsschulung weiterentwickelt als Mittel methodischer Selbsterforschung: das losgelöste Beobachten und Erforschen und Strukturen des Geistes (vairagya-bhavana, atma-vicara).
5) Sammlung der Aufmerksamkeit
Sie wird v.a. entwickelt anhand der diversen Aspekte des Atemgewahrseins (pranapana-smriti-upasthana). Beginnend als Teil der allgemeinen Achtsamkeits-Praxis wird sie schließlich spezifisch weiterentwickelt als erster Schritt in der Meditations-Schulung.
Die Praxis des Atemgewahrseins ist verzweigt in viele Arten meditativer Erfahrung, die zunehmend vertiefende Einsichten ermöglichen. Dieses Üben dient u.a. auch dazu, den Geist und die prana-Ströme in einen Zustand des Gleichgewichts zu bringen und zu zentrieren.
6) Arbeit an der Reinigung und Stabilisierung des Geistes
Um die Störungen (durch Gedanken und Gefühle) in der Meditationspraxis zu überwinden, werden außerdem unterstützende Reinigungsübungen einbezogen. Reinigung bedeutet: man erforscht die Qualität seiner geistigen Tendenzen und verändert sie in Richtung heilsamer, entwicklungsfördernder Strömungen.
Praktisch wird das umgesetzt u.a. durch das Kultivieren der yama-niyamas (ethische Verhaltensrichtlinien) bzw. der spirituellen Qualitäten wie Freundlichkeit (liebevolle Zuwendung), Mitgefühl, Freude, heitere Gelassenheit und Gleichmut. Letztere werden als 'göttliche' Eigenschaften bezeichnet (brahmaviharas).
Resultat der Reinigung ist die Stabilität des Geistes - die Fähigkeit zu ununterbrochener Ausrichtung.
Ein integrativer Weg
Diese grundlegenden Übungselemente greifen als integrative Elemente ineinander und werden miteinander entwickelt. Zusätzlich arbeitet man daran, das im Üben Entwickelte und Erkannte im Alltagsleben umzusetzen und eine neue Art des Handelns in der Welt zu entwickeln - ein heilsames und konstruktives Wirken.
Die heilsamen und spirituellen Qualitäten und Fähigkeiten, die sich auf diesem Praxisweg schrittweise entfalten, sollen v.a. in den eigenen Lebensbedingungen zur Entfaltung kommen können. Dabei geht es auch darum, die Gefahr meditierender Egomanen zu vermeiden, die durch das Üben nur ihr Ego in pseudospirituelle Dimensionen aufblasen.
Meditation, die unser Leben nicht tiefgreifend transformiert, hat wenig spirituellen Wert.
Weitere Schritte
Später werden weitere Aspekte des Übens einbezogen und entwickelt:
Praxisformen der spirituellen Ausrichtung (ishvara-pranidhana), u.a. in Form initiatorischer Einführung in Mantra und Yantra sowie spezifischer Konzentrationen, das Stärken des Zeugenstandpunkts, die Entwicklung geistiger Stärke (samkalpa-shakti - Entschlusskraft) und weiterer vertiefender Aspekte der meditativen Praxis.
Abschließend noch zwei besonders wichtige Elemente für den spirituellen Praxisweg:
- man braucht Geduld mit sich selbst -
ehrgeizige Vorstellungen und überzogene Erwartungen sollte man von vornherein loslassen - - außerdem sollte man unter allen Bedingungen in der Lage sein, heitere Gelassenheit zu bewahren und über sich und seine sichtbarer werdenden Schwächen und 'Macken' lachen zu können.
Auf diesem Übungsweg sollte man sich selbst niemals zu ernst oder zu wichtig nehmen!
(Samvid)