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Schweigen - die Praxis innerer Stille (Teil I)

von Swami Veda Bharati
Auszug aus seiner Schrift 'Silence'
mit freundlicher Genehmigung von Ahymsin Publishers / Himalayan Yoga Publications Trust (HYPT)

Schweigen sollte nicht nur die Abwesenheit des Sprechens sein. Ist es nur die Abwesenheit von Sprache, kann es emotionell und spirituell sogar schaden. Solange man nicht innerlich erfüllt ist, gibt es kein Schweigen.
Erfüllt euch deshalb mit Meditation, mit Kontemplation, mit eurem Mantra. Macht das Schweigen zu einer Gelegenheit, in die tieferen Schichten des Bewusstseins einzutauchen.

'Die tieferen Schichten des Bewusstseins' - dieser Ausdruck lässt viele glauben, dass man sich dabei in die Launen, die Ansammlungen, Verwirrungen und Düsternisse des Unbewussten begibt. Der Weg zum Überbewussten ist jedoch ein anderer. Der Geist ist ein Ozean, in dem man, ähnlich einem Taucher, viele Temperaturschichten und viele unterschiedliche Druckebenen vorfindet. In jeder Schicht des Geistes findet sich eine veränderte Frequenz des Kraftfeldes.

Auf der Sprachebene schwingt es in seiner niedrigsten Frequenz. Auf der Ebene des reinen Gedankens ist die Frequenz etwas höher. Auf der Ebene des Mantras ist sie wiederum etwas höher. Wenn dein Körper entspannt ist und du dich in Meditation begibst, dann wiederholt sich das Mantra schneller, da es sich mit einer höheren Frequenz verbindet. Es geht hier nicht darum, zu versuchen, es schneller zu machen, das führt nur zu Anspannung. Wenn man sich von dort zu den tieferen, stillen Schichten bewegt, sind sie von noch höherer Frequenz, einer so hohen Frequenz, dass sie auf der Stufe des niedrig schwingenden Geistes kaum noch wahrnehmbar sind. Wir sollten lernen, diesen Ort aufzusuchen.

Die Zeit des Schweigens sollte eine Zeit der Bereinigung der vergangenen Eindrücke sein.
Es sollte eine Zeit sein, in der keine neuen Eindrücke aufgenommen werden, damit der Geist seine eigenen höherfrequenten Zustände wahrnehmen und verwirklichen kann.

Dies scheint ein langer Tauchgang zu werden. Es ist tatsächlich ein langer Tauchgang aufgrund all der Hindernisse auf dem Weg. Welche Hindernisse? Es sind die Samskaras aus vergangenen Leben, also die Eindrücke von Erfahrungen, denen wir in vergangenen Leben ausgesetzt waren und denen wir uns in diesem Leben aussetzen. Die Zeit des Schweigens sollte eine Zeit der Bereinigung dieser vergangenen Eindrücke sein. Es sollte eine Zeit sein, in der keine neuen Eindrücke aufgenommen werden, damit der Geist seine eigenen höherfrequenten Zustände wahrnehmen und verwirklichen kann. Setzt man sich derartigen Eindrücken aus, bildet man Gewohnheiten bezüglich der Art und Weise, wie man die Dinge betrachtet - z.B. die Gewohnheit, sich selbst als Menschen aus dem Westen oder aus dem Osten zu bezeichnen; die Gewohnheit, sich selbst als Deutschen oder Chinesen zu bezeichnen; die Gewohnheit, sich als Ehefrau oder Ehemann zu bezeichnen, als Tochter, Selbständigen, Arbeitgeber, Arbeitnehmer; sich als verbitterte, wütende, deprimierte, traurige oder kranke Person zu bezeichnen.

Oder wenn wir etwas auf die stets gleiche Weise tun. Auf diese Weise konditionieren wir unseren Geist und ketten ihn an Gewohnheiten. Und solange wir den Geist nicht wieder davon lösen, gibt es keine Freiheit.

Den Geist mit Meditation füllen

Die Praxis des Schweigens wird in den Yoga-sutras unter der Bezeichnung Tapas (Askese, wörtlich: spirituelle Übung) gelehrt. An einigen Stellen heißt es, dass es keine größere Askese als Pranayama gibt. Andere Stellen besagen, dass es keine größere Askese gibt als Schweigen (mauna).

Und was bedeutet Tapas wirklich? Tapas wird als dvandva-sahana beschrieben - den Gegensatzpaaren, der Dualität widerstehen. Wer Schweigen übt, bewegt sich wie jene, die auf heißen Kohlen gehen oder über längere Zeit in der Kälte bleiben können. Doch es ist besser, mit jener Hitze und Kälte zu beginnen, die in unserem Geist weht. 'Titiksha' lautet das Wort dafür - eines der 'sechs Kostbarkeiten' (shat-sampat), der Vorbedingungen für die Befreiung. Das bedeutet, wenn dich jemand anschreit, perlen diese Schreie und Flüche von dir ab wie Wassertropfen von einem Lotusblatt. Jemand lobt dich in den Himmel und auch diese Belobigungen fallen von dir ab, weil du nicht erst das Lob anderer benötigst, um Selbstvertrauen zu haben, da dein Selbstvertrauen aus jener Freiheit aufsteigt, die um so größer ist, je mehr euer Schweigen sie euch hat erfahren lassen.

Diese Askese kann einen Punkt erreichen, an dem man die Praxis des hölzernen Schweigens (kashtha-mauna) vermittelt bekommt. Hölzernes Schweigen ist jenes Schweigen, in dem man nichts mehr ausdrückt, nicht mit den Augen, nicht einmal mehr mit der Färbung der Wangen. Und wenn die Gurus, die mit ihren Schülern in den Höhlen leben, in diesen Zustand des Kashtha-mauna eintreten, ist die Zeit gekommen, in der ein Schüler die wahre Kunst der Sensitivität erlernt, die zum 'Lesen' einer Person nötig ist. In dieser Zeit lernt er, den Guru zu 'lesen'. Wenn er dann die Höhen der Himalayas verlässt, wörtlich oder im übertragenen Sinn, kann er seine Schüler 'lesen' und sie dadurch anleiten. Es handelt sich also um das Schweigen der Emotionen, das Schweigen des Verlangens. Es handelt sich also um Enthaltsamkeit, innerhalb deines persönlichen Rahmens, innerhalb der Rahmenbedingungen deiner Kultur. Es handelt sich beispielsweise um die Kontrolle der Zunge, die Kontrolle der Verführungen und Konditionierungen betreffend den Geschmack. Du erhebst dich über die Sinne und öffnest deine Sinne nach innen, dorthin, wo alle Aromen ihren Ursprung haben. Dort können sie in solcher Tiefe ausgekostet werden, dass sie dich in innere Ekstase führen. Zu diesem Ort begibst du dich.

Es geht nicht allein um das Nicht-Sprechen, es ist etwas anderes, das dich erfüllt, energetisiert, erweckt, das die Energie in dir ansteigen lässt. Durch das Üben des Schweigens lernt man, in das einzutauchen, was wir theoretisch als den kollektiven oder universellen Geist bezeichnen. Es gibt keinen anderen Zugang zum kollektiven Unbewussten (wie immer man es bezeichnen möchte) als diesen. Man kann die Existenz eines solchen kollektiven Unbewussten nicht erfahren, ohne in diese Stille zu gehen.

In dieser Stille wird alles, das sich in anderen Bereichen dieses kollektiven Bewusstseins abspielt, in dir zu reflektieren beginnen. So wirst du das, was jemand anderes entdeckt, ebenfalls entdecken. Und das ist noch lange nicht alles.

Letztlich ist Sprache nutzlos. Nimm irgendeinen der Sätze, die du sprichst. Er ist bedeutungslos - ob es nun eine theologische, philosophische oder alltägliche Aussage ist.

Ein Beispiel dafür wäre die Frage, die so oft gestellt wird: 'Wohin geht die Seele nach dem Tod?' 'Wo' bezieht sich auf den Raum, einen Ort oder Bezugspunkt im Raum. 'Nach' bezieht sich auf Zeit. 'Geht' bezieht sich auf Bewegung in Raum und Zeit. 'Seele' ist ein Wesen jenseits des Materiellen, ist kein Subjekt von Raum oder Zeit oder von Bewegung in Raum und Zeit. Um welche Art Frage handelt es sich also? Wenn man diese Frage sehr sorgfältig untersucht, bleibt am Ende nur Schweigen. Dies gilt für alle Fragen - sie enden in Schweigen. Und erst in dieser Stille werden diese Fragen, die du aufgehört hast zu stellen, beantwortet.

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