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Die Atmung

Auszüge aus der Vortragsserie 'Meditation: Weg zum Höchsten Bewusstsein'
von Swami Veda Bharati
Teil 6

Die Atmung ist für die Meditation von maßgeblicher Bedeutung. Er ist Gradmesser der Emotionen und des geistigen Zustands.

Mit zunehmender Entspannung des Körpers vertieft sich allmählich die Atmung. Umgekehrt kann man feststellen, dass in einer emotional aufgewühlten Person der Atem oberflächlich wird. Da unsere Gefühle sehr leicht aus dem Gleichgewicht geraten, atmen wir meist Tag und Nacht auf solch oberflächliche Weise. Der emotionale Zustand wirkt sich auf die Atmung aus, die Atemweise wirkt sich auf den emotionalen Zustand aus. Es ist wie ein Teufelskreis.

Natürliche Atemweise

Die natürliche Atemweise, mit der wir geboren werden, haben wir verloren. Man sollte beobachten, wie ein Baby atmet: die Atemmuskulatur arbeitet rhythmisch und fließend; der ganze Körper scheint zu atmen und die Atmung beginnt vom Bauch her.

Das Atemorgan beginnt eigentlich knapp unterhalb des Nabels, im oberen Bereich des Unterbauchs. Bis dorthin gibt es viel Raum, in den die Atmung sich ausbreiten kann. Das Zwerchfell, ein Muskel direkt unterhalb der Lungen, regelt die Atmung. Beim Einatmen zieht sich das Zwerchfell zusammen und mit dem Ausatmen entspannt es sich wieder und dehnt sich aus. Doch viele nutzen das Zwerchfell nicht in seiner vollen Kapazität.

Die Lungen selber sind wie zwei große Schwämme im Brustkorb eingebettet. Wenn sich jedoch die Wirbelsäule rundet und der Brustkorb einsinkt, kann man nicht mehr auf richtige Weise atmen. Will man lernen, richtig zu atmen und emotional zu entspannen, so sollte man dieses Zusammensinken vermeiden. Man meidet also besser all diese 'bequemen' Sitzgelegenheiten, wie Autositze oder Sofas, in die man einsinkt und in denen der Rücken sich rundet. Die Bewegung des Zwerchfells und der Lungen wird dadurch eingeschränkt.

Entspannung durch den Atem

Neben den formellen Entspannungsmethoden ist der Atem die beste Möglichkeit, um zu entspannen. Man sollte lernen, auf richtige Weise zu atmen. Ohne aufrechte Haltung ist das jedoch nicht möglich. So wie zwischen Atemweise und Emotionen ein Zusammenhang besteht, besteht auch ein Zusammenhang zwischen Haltung und Emotionen. Die geistige Einstellung drückt sich in der Körperhaltung aus. In Körperhaltung und Atemweise lässt sich beispielsweise leicht das fehlende Selbstvertrauen oder die Hoffnungslosigkeit eines Menschen erkennen.

Mit jeder Körperhaltung kultiviert man auch einen bestimmten emotionalen Zustand. Der emotionale Zustand wiederum hat Einfluss auf die Körperhaltung. Wenn sich der Körper an eine bestimmte Haltung gewöhnt hat, so fällt es oft schwer, sie wieder zu verändern; in einer veränderten Körperhaltung fühlt man sich erst einmal nicht wohl. Doch Yoga-Praxis unterstützt darin, die Haltung zu verändern und dadurch ein inneres Gleichgewicht herzustellen.

Zwerchfellatmung

Probiere einfach folgende Übung aus:

  • Lege dich auf den Rücken
  • atme so, als würde dein ganzer Körper atmen
  • bring die Aufmerksamkeit zum Bereich des Unterbauchs, des Nabels und der Magengegend
  • leg sanft deine Hand auf den Oberbauch auf und spür einfach nur, wie sich die Hand mit dem Atem hebt und senkt. Spüre einfach nur dieses Heben und Senken der Hand, lass dabei den ganzen Brustkorb entspannt.

In der Auseinandersetzung mit seinem Atem ist bewusste Zwerchfellatmung der erste Schritt. Der zweite Schritt ist das Zählen der Atemzüge. Hat man nicht viel Zeit zur Verfügung und möchte sich entspannen, dann ist das Atemzählen eine sehr einfache Methode dafür.

Atemzählen

Das Zählen der Atemzüge kann auf verschiedene Weise durchgeführt werden. Man kann einfach zählen, soweit man damit kommt. Das scheint einfach zu sein, ist jedoch in Wirklichkeit sehr schwierig. Probiere es einfach einmal aus, zähle deine Atemzüge von eins bis einundzwanzig.

Wahrscheinlich wird dir das nicht gelingen, ohne dass die Gedanken abschweifen. Daher beginnt man besser mit kleinen Abschnitten. Man zählt von eins bis fünf und fünf bis eins. Später kann man es eventuell auf zehn steigern.

Ist man also ungeduldig, besorgt oder unruhig, wendet man sich seinem Atem zu und zählt die Atemzüge.

Punkt-zu-Punkt-Atmung (shithili-karana)

Der dritte Schritt ist die Punkt-zu-Punkt-Atmung. Dabei atmet man so, als würde man vom obersten Bereich des Kopfes bis zu den Zehen atmen und von den Zehen bis zur Kopfdecke. Dann von der Kopfdecke bis zu den Knöcheln und wieder nach oben; von der Kopfdecke bis zu den Knien; dann bis zum Beckenboden; bis zum Nabelzentrum; bis zum Herzzentrum; bis zum Kehlzentrum; bis zum Kopfzentrum.

Dann ändert man die Richtung und geht wieder schrittweise nach unten, immer beginnend von de Kopfdecke bis zum jeweiligen Abschnitt. Diese Punkt-zu-Punkt-Atmung gibt es in verschiedenen Varianten.

Diese drei Übungen kann man durchführen, um zu entspannen, ohne jemals das Wort 'entspannen' zu verwenden.

Wechselseitige Atmung

Nadi-shodhana, die 'Reinigung der Energiebahnen' oder wechselseitige Atmung ist eine besondere Atemtechnik. Wir wissen, dass die Intensität des Atemflusses in den Nasenflügeln sich alle eineinhalb bis zwei Stunden von einer Seite zur anderen verlagert.

Wir wissen auch, dass die linke Gehirnhälfte für rationales und intellektuelles Denken zuständig ist, man verknüpft Informationen, stellt Berechnungen an etc. Die rechte Gehirnhälfte hängt mehr mit dem ganzheitlichen, vereinenden Denken zusammen, mit Musik, Literatur, Kunst und dergleichen.

Yoga unterscheidet auf ähnliche Weise den Atemfluss in den beiden Nasenflügeln. Der rechten Seite wird das rationale, solare, maskuline Prinzip zugeordnet. Es steht in Bezug zur linken Gehirnhälfte. Ist der Atemfluss im rechten Nasenflügel aktiver, kann der Geist leichter logische Verbindungen herstellen etc.

Der Atemfluss im linken Nasenflügel steht für das künstlerische, ganzheitliche und ästhetische Denken. Er wird dem lunaren, femininen Prinzip zugeordnet.

Ist der Atemfluss im rechten Nasenflügel aktiver, ist die linke Gehirnhälfte aktiver. Ist der Atemfluss im linken Nasenflügel aktiver, ist die rechte Gehirnhälfte aktiver.

Ca. alle zwei Stunden wechselt die Intensität des Atems in den Nasenflügeln. Die Natur versucht ständig, ein Gleichgewicht herzustellen. Yogis lernen, den Atemfluss in den Nasenflügeln willentlich zu steuern, um so ihre Herangehensweise an Dinge zu verändern. Um mathematische Probleme zu lösen oder um Nahrung besser zu verdauen, aktiviert man den Fluss im rechten Nasenflügel. Um Gedichte zu verfassen oder künstlerisch aktiv zu sein, aktiviert man den Atemfluss im linken Nasenflügel.

Ein sehr passiver Mensch sollte den Atemfluss in der rechten Seite aktivieren. Wer sehr aggressiv ist, sollte den Fluss im linken Nasenflügel aktivieren, um allmählich in ein Gleichgewicht zu finden.

Der Fluss im rechten oder linken Nasenflügel lässt sich auf sehr einfache Weise aktivieren. Man legt sich auf seine linke Seite und atmet langsam und tief. Man beobachtet die Empfindung des Atems in den Nasenflügeln. Nach einundzwanzig bis einunddreißig Atemzügen wird die rechte Seite aktiver. Das geschieht ganz von selbst. Legt man sich auf die rechte Seite, wird der Fluss im linken Nasenflügel aktiviert.

Yogis, die Meister dieser Wissenschaft des Atems sind und vollständige Kontrolle des Willens verwirklicht haben, können jederzeit willentlich die gewünschte Seite aktivieren.

Bei uns sind nur sehr selten beide Nasenflügel gleich stark aktiv. Doch in bestimmten Situationen ist dies der Fall: im Moment plötzlichen Schreckens oder Schocks, oder bei einem plötzlichen Ausbruch der Wut. Beim ersten Atemzug eines Neugeborenen und beim letzten Atemzug eines Sterbenden sind beide Seiten gleich aktiv.

Doch diese ausgeglichene Aktivität in beiden Nasenflügeln besteht nur für eine sehr kurze Zeitspanne. Im Fall plötzlicher Gefahr und Angst werden beide Nasenflügel aktiv, weil beide Gehirnhälften ihre gesamte Energie zur Verfügung stellen. Sowie man sich aber entweder für Flucht oder für Kampf entscheidet, verlagert sich die Aktivität auf nur eine Seite.

Auch im seltenen Moment eines genialen Einfalls vertieft sich der Atem und beide Seiten werden gleich aktiv. Gleiches geschieht auch beim Orgasmus.

Auch in sehr tiefer Meditation sind beide Nasenflügel gleich aktiv. Das ist die Meditation der großen Meister. In ihrem Üben halten sie diesen Zustand ausgewogener Aktivität in beiden Nasenflügeln für lange Zeit aufrecht. Die Intensität des Vergnügens eines solchen Yogis in Meditation ist millionenfach stärker als jeder sexuelle Höhepunkt, der ja nur wenige Sekunden andauert.

Diese Meditation ist gekennzeichnet durch hohe innere Konzentration, es ist das Vergnügen des männlichen und weiblichen Prinzips - vereint in absolutem Gleichgewicht. Das spirituelle Wesen kommt zum Vorschein. In diesem unbeschreiblichen Zustand höchster Freude, verweilt ein verwirklichter Yogi für Stunden. Und diese absolute Ausgeglichenheit zeigt sich in seinem Leben in all seinem Tun und Sein.

Wer also seinen Geist stabilisieren will, mehr Wachheit oder emotionales Gleichgewicht in seinem Leben erfahren will, sollte die wechselseitige Atmung, nadi-shodhana üben.

Vorbereitende Schritte:

  • Man sitzt in einer ausgeglichenen, aufrechten Haltung. Man achtet darauf, dass während des Übens die aufrechte Sitzhaltung bestehen bleibt
  • man ist sich seiner selbst gewahr - vom Kopf bis zu den Zehen, man ist sich des Raums seines Körpers bewusst, ist bewusst im Hier und Jetzt
  • man entspannt alle muskulären Anspannungen
  • man achtet auf die freie Zwerchfellatmung, der Atem soll immer frei fließen können
  • anschließend lässt man einen gleichmäßig fließende Atmung entstehen - in gleicher Länge; das klingt leichter als es tatsächlich ist
  • man lässt den Atem gleichmäßig, ohne Atemgeräusche und ohne Unterbrechungen zwischen den Atemzügen fließen
  • die Aufmerksamkeit wird abwechselnd von einem zum anderen Nasenflügel gelenkt.

Die wechselseitige Atmung sollte man sich von einem erfahrenen Lehrer vermitteln lassen.

Vertiefungen der Atempraxis

Hier noch zwei Verfeinerungen der Praxis für jene, die darin noch tiefer eintauchen wollen.

1)
Man atmet so, als würde die Einatmung durch einen feinen Kanal in der Wirbelsäule bis zum Steißbein fließen, und man lässt den Ausatem über diesen Kanal wieder nach oben fließen. Diese Übung stärkt das Nervensystem, da der Atem hier direkt durch das Zentrum des Nervensystems geführt wird.

2)
Mit jedem Atem lässt man sein persönliches Mantra oder das universelle Mantra so'ham mit dem Atem mitfließen. In die Erfahrung dieser speziellen Praxis findet man leichter, wenn man darin angeleitet wird. Diese Sumeru-Atmung, das Atmen durch den Wirbelsäulenkanal, sollte nur von jenen durchgeführt werden, die ein persönliches Mantra haben. Der Mantra-Klang hat hier große Bedeutung. Sofern man kein Mantra hat, sollte man besser Zwerchfellatmung und wechselseitige Atmung praktizieren.

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