Die Kennzeichen für spirituellen Fortschritt (5)
Auszüge aus der Vortragsserie von Swami Veda Bharati
(Adhyatma Yoga-Retreat, 2002)
Teil 5
Unzufriedenheit
Eine Person, die nach Reichtum strebt - egal welches Maß an Wohlstand er oder sie bereits hat, es ist niemals zufriedenstellend. Wer nichts hat will hundert, wer hundert hat will tausend, wer tausend hat will hunderttausend, wer hunderttausend hat will die Welt beherrschen - und so weiter. Unsere Wünsche kennen kein Ende. So ist es auch in der Meditation. Egal, welche Stufe (bhumi) wir erreicht haben, es fühlt sich an, als ob man nicht genügend Fortschritt gemacht hätte.
Swami Rama pflegte zu sagen, 'Die materielle Welt verspricht Erfüllung, löst dieses Versprechen jedoch niemals ein'. Du erreichst also niemals einen Zustand dauerhafter Zufriedenheit.
Das Streben nach innerer Stille, nach Ausgeglichenheit, hat mit den Zielen der äußeren Welt eines gemeinsam: auf welcher Stufe man sich auch befindet, man ist nicht zufrieden. Man sagt sich, 'Ich habe nichts erreicht', denn der Geist strebt weiterhin nach nichts Geringerem als der Unendlichkeit selbst.
Die endlosen weltlichen Wünsche sind nichts als eine Parodie, geboren aus der inneren Unzufriedenheit mit seinem spirituellen Zustand
Göttliche Unzufriedenheit
Alle mystischen Traditionen betonen Zufriedenheit bezüglich physischer Belange, wir kennen es als das Niyama bezeichnet als Samtosha - Zufriedenheit. Doch göttliche Unzufriedenheit wird gefördert - das Nichtzufriedensein mit dem eigenen spirituellen Status, mit dem, was man in der Meditation erreicht hat. Welche Stufe der Meditation man auch immer erreicht hat, die göttliche Unzufriedenheit bleibt.
Denn jene, die mit ihrem spirituellen Status zufrieden sind, sind wieder in die Ego-Falle getappt. Sie denken, 'Ich bin ziemlich zufrieden mit meiner spirituellen Entwicklung. Ich bin nun bereit, die Welt zu lenken.'
Daher ist es ein Zeichen von Fortschritt, tief in sich unzufrieden zu sein mit dem, was man in Bezug auf Stille erreicht hat. Es zeigt, dass man nicht wieder in die subtilen Fallen des Ego gegangen ist.
Veränderung der Sprache
Macht man Fortschritte, kann man bestimmte innere Veränderungen beobachten. Die Sprache ändert sich, die Art, wie du Worte gebrauchst, ändert sich. Die Welt versteht dich nicht mehr, da sich die Bedeutung deiner Worte verändert hat. Die Wortwahl wie auch die Bedeutung von Worten verändert sich.
Dein sprachlicher Ausdruck und die Bedeutung deiner Worte reflektiert deinen spirituellen Status. Deine Sprache, dein Stil, deine Ausdrucksweise verfeinert sich auf gewisse Weise. Du findest Möglichkeiten, das Unangenehme auf freundliche Art auszudrücken, das Unliebsame in annehmbarer Weise.
Veränderung von Vorlieben
Nur mit geschlossenen Augen zu sitzen, reicht nicht aus. Wenn man spirituell wächst, Fortschritt macht, entstehen noch weitere Veränderungen. Veränderungen in der Wahl der Nahrung - man wünscht sich leichtere, mehr sattvische Nahrung.
Mit seinem spirituellen Fortschritt ändert sich die Art dessen, das man in sich aufnimmt - in Bezug auf Ernährung, bezüglich Farben und Musik. Es ändern sich deine Vorlieben, dein Musikgeschmack, deine bevorzugte Bekleidung. Diese Veränderungen entstehen nicht von außen, sie entstehen im Subtilkörper. Bestimmte Eigenschaften treten in den Hintergrund, andere kommen an die Oberfläche.
Veränderung sozialer Beziehungen
Es verändert sich auch dein Umgang, du umgibst dich mit anderen Menschen. Du suchst nach einer mehr spirituell orientierten Gesellschaft, ohne jedoch das abzulehnen, was du hinter dir gelassen hast. Ein fünfjähriges Kind spielt nicht mit den Spielsachen eines Dreijährigen und ein zehnjähriges Kind nicht mit den Spielsachen eines Fünfjährigen.
Behalte in Erinnerung, dass Ablehnung (dvesha) die stärkste Anhaftung (raga) ist. Und solltest du Abneigung empfinden gegen jemandes schlechte Gewohnheiten oder negative Ausdrucksweise, und du verachtest und kritisierst diese Person deswegen, hältst deren Gegenwart nicht aus, dann machst du Rückschritte, keine Fortschritte. Wenn du verurteilst, wenn du kritisierst, machst du keine Fortschritte.
Es gibt also zwei Phasen: deine Vorliebe für eine bestimmte Art von Gesellschaft verändert sich, und dann entwickelst du eine neutrale Haltung gegenüber dem, was du hinter dir gelassen hast. Du begegnest dem Vergangenen auf neutrale Weise.
Abgeschiedenheit
Man beginnt, Abgeschiedenheit zu suchen - nicht Ungestörtheit, sondern Abgeschiedenheit, nicht Privatsphäre, sondern Abgeschiedenheit. Abgeschiedenheit ist etwas innerlich Erfülltes. Sie macht nicht einsam, nicht frustriert und führt auch nicht zu Ichbezogenheit. Zweck der Abgeschiedenheit ist ausschließlich, dich mit etwas Innerem zu erfüllen, bis es beginnt, überzufließen. Dann kann man in die Welt gehen und die Menschen an dieser Fülle teilhaben lassen.
Erst findet man körperliche Abgeschiedenheit, und wenn man diese Kunst beherrscht, in der allein Fülle bleibt, kann man diese Abgeschiedenheit nach außen tragen.
Höchste Freiheit
Der in den Yoga-sutras verwendete Ausdruck dafür ist kevala (solo, bei sich). Das allerletzte Sutra spricht von diesem Kaivalya. Die wörtliche Übersetzung dafür lautet 'solo sein', bei sich sein. Es ist ein Synonym für Befreiung, für die ultimative Freiheit, das höchste Bei-Sich-Sein. Kaivalya, höchste Abgeschiedenheit, ist das Ziel der Yoga-sutras.
Gemeint ist nicht die Abgeschiedenheit einer Person von den übrigen Menschen. Diese Abgeschiedenheit ist die reine Bewusstseinskraft, ist die Erfahrung von Purusha, von Atman - ausschließlich und einzig das. Die Identifikation mit dem Körper (annamaya-kosha), der physischen Gestalt, lässt man jetzt weit hinter sich.
Lass deine körperlichen Bedingungen nicht deine geistigen Bedingungen bestimmen.
(Swami Veda)
Deine Haltung gegenüber Alter, Krankheit und Tod verändert sich. Du hast erfahren, dass Atman, das spirituelle Selbst, nicht der Körper ist, der Geburt, Wachstum, Alter und Verfall unterworfen ist. Du verlierst die Angst vor dem Alter. Und der Tod, so sage ich immer, ist der größte Mythos auf Erden. Du wirst das erkennen.
Dekonditionierung
Dein Zugang dazu wird sich ändern. Du dekonditionierst deinen Geist. Eine von Swami Ramas Definitionen von Meditation ist 'Dekonditionierung des Geistes'. Über wer weiß wie viele Inkarnationen haben wir unseren Geist darauf konditioniert, dies zu denken, das zu denken, dies zu fühlen, jenes zu fühlen. Der Geist wurde konditioniert, auf bestimmte Weise zu fühlen, der Geist in anderen Kulturen wurde ebenso konditioniert, auf bestimmte Weise zu fühlen. Das macht den Unterschied zwischen den Kulturen aus.
In unterschiedlichen Kulturen werden Emotionen unterschiedlich erlernt. Die Art und Weise, wie du fühlst und auf etwas reagierst, ist daher nicht universell, sondern das Ergebnis spezifischer Konditionierung.
Keine fixen Gewohnheiten zu haben und trotzdem klare Entscheidungen auf einer spirituellen Grundlage zu treffen - das ist ein Beispiel für Dekonditionierung. Man lernt, unterschiedliche Sichtweisen präsent zu halten, ohne dabei einen Konflikt zu spüren. Die Wahrheit lautet: weder dies allein, noch jenes allein. Die Gegensätze treffen in der Mitte zusammen. Das linke Nasenloch, das rechte Nasenloch und der zentrale Strom (sushumna) - zusammen bilden sie die Wahrheit.
Wenn du im inneren Zentrum lebst, wählst du weder die eine noch die andere Seite, sondern du hältst die gesamte Realität in deinen Händen.
Konfliktlösung
Ich spreche über Konfliktlösung nicht so, wie heute das Thema Konfliktlösung in Seminaren vermittelt wird. Ich spreche davon, das Konfliktpotential im eigenen Inneren zu lösen, denn dann kann kein Konflikt entstehen.
Zwei Personen diskutieren über Gott: die eine sagt, 'Gott nimmt keine Form an. Es gibt nur einen Gott, und alle, die etwas anderes glauben, erwartet ein großes Höllenfeuer!' Die andere Seite huldigt dagegen all den verschiedenen Manifestationen von Göttlichkeit. Beide argumentieren, streiten und randalieren - und sie entfachen so das Höllenfeuer hier auf Erden. Für das Höllenfeuer muss man also nicht weit gehen.
Die Person jedoch, welche die beiden unterschiedlichen Enden des Spektrums kennt, sagt, 'Dies ist wahr, und das ist ebenso wahr.' Sie erkennt die beiden Standpunkten gemeinsame Wahrheit. So ändert sich auch deine Haltung gegenüber Religionen. Daher hat ein Yogi im Gespräch mit Menschen verschiedener Religionen kein Problem.
Deine Haltung gegenüber Nationalitäten, Religionen, gegenüber den Streitereien mit deiner Frau oder deinem Mann, der Schwiegertochter, Schwiegermutter, und gegenüber dem schrecklichen und streitsüchtigen Nachbarn, verändert sich. Weißt du, was passiert? Du beginnst, die Gegenseite einzunehmen und zu verstehen.
Im Zentrum bleiben
Auf diese Weise werden die Worte der Bhagavad-gita in deinem Leben Wirklichkeit:
im Wohlstand oder in der Not, im Schmerz oder im Vergnügen, in Ehre oder Schande - du bleibst immer dieselbe Person, du bleibst ausgerichtet. Du behältst dein Zentrum.
Dies bedeutet, dass die alten Gewohnheiten verschwinden. Dein Sieg über die eigenen Emotionen macht dich zum Bezwinger der Emotionen anderer. Denn nur durch deine Anwesenheit generierst du in anderen jenes Gefühl, jene Empfindung oder Emotion, welche du in ihnen hervorrufen möchtest. So kannst du ihren Ärger durch ein Lächeln ersetzen, ihren Zwiespalt durch Einigkeit. Du kannst ihre Abneigung ersetzen durch Anziehung - allein durch deine Ausstrahlung, deine Körpersprache, deinen Gesichtsausdruck, deine Stimme.
Führe ein mentales Tagebuch über deine Fortschritte - und ebenso über deine Rückschritte.